Digitale Medien handeln nach wie vor von den Beziehungen zwischen Menschen. In der ständigen Koevolution von Mensch und Technologie entstehen immer mehr Instrumente, die uns verbinden - und die lnstrumente, die dies nicht tun, lernen es schnell. Wir müssen uns stets vor Augen führen, dass bei digitalen Medien der Kontakt mit anderen Menschen im Mittelpunkt stehen sollte. Und nicht ihre Informationen - oder schlimmer, ihr Geld.
Fast unmittelbar nachdem die ersten Computernetzwerke für das US-amerikanische Verteidigungsministerium entwickelt wurden, haben die Betreiber dieser Systeme etwas Seltsames bemerkt: Die Wissenschaftler, die Nutzerkonten hatten, verwendeten immer mehr Zeit und Bandbreite darauf, über ihre persönlichen Forschungsinteressen und bevorzugten Science-Fiction-Romane zu sprechen, anstatt über ihre offiziellen Aufgaben.
Während das Internet - damals noch Arpanet - einen technologischen Erfolg darstellte, wurde es zunehmend für soziale Zwecke verwendet. Die Regierung entschied sich, es abzugeben. AT & T hat das Angebot, es zu übernehmen, abgelehnt: Sie fanden schlicht kein Geschäftsmodell für etwas, was offensichtlich ein soziales Forum für Wissenschaftler war. Die Regierung gab das Netz letztendlich im grossen Umfang frei mit der Bedingung, dass es ausschliesslich für Forschungszwecke verwendet würde.
UNKOMMERZIELLES WACHSTUM Niemand konnte ahnen, dass das Netz einmal die heutigen Ausmasse annehmen würde - vor allem deswegen nicht, weil die Menschen, die sich über Netzwerke miteinander austauschten, kommerziell nicht interessant waren. Das Netz wurde mit dem CB-Funk verglichen - eine kurzlebige Modeerscheinung, die schon wieder abgeebbt war, bevor überhaupt ein Film über die Sprache und Kultur der Lkw-Fahrer gedreht und herausgebracht werden konnte. Mein eigenes erstes Buch über das Internet wurde von meinem Verleger 1992 abgelehnt, weil er dachte, das Netz wäre 1993, wenn das Buch herauskäme, längst «vorbei».
Das soziale, nicht kommerzielle Netz wuchs kontinuierlich. Bis zum Jahre 1994 zeigten Studien, dass Familien, die ein Computermodem besassen, durchschnittlich neun Stunden in der Woche weniger fernsahen. Doch was zumindest für die Werbebranche am schlimmsten war: Sie verbrachten diese Zeit mit einem vollständig werbefreien Medium.
Schliesslich wurde nach einer Reihe von Rechtsverletzungen durch kleine Unternehmen, die ihre Dienste online vermarkten wollten, das Netz für Werbezwecke geöffnet. Die Politiker führten das Argument an, dass man die Firmen ohnehin nicht davon hätte abhalten können. So konnten Unternehmen letztlich das Netz nutzen, um ihre Waren anzubieten. Jeder hat mitgemacht und ein «.com» hinter jeden nur vorstellbaren Begriff gehängt. Während einige wenige Unternehmen online tatsächlich Erfolg hatten, scheiterten die meisten von ihnen - so sehr, dass auch die Börse einbrach.
Doch das war nicht allein die Schuld des Netzes. Die Börse hatte seit dem Biotech-Crash der 1980er händeringend nach einem neuen aufregenden Sektor gesucht. Digitale Medien, die plötzlich zum elektronischen Einkaufszentrum des 21. Jahrhunderts wurden, schienen ideal für grosse Investitionen. Das Problem bestand darin, dass die meisten Internetunternehmen nicht wirklich all dieses Investitionskapital benötigten - und noch weniger Stammaktien. Drei Hacker in einer Garage warren in der Lage, die meisten Online-Unternehmen für ein paar tausend in Pizza investierte Dollars aufzubauen. Zudem verbrachten die Internetnutzer mehr Zeit in Chatrooms und Online–Konferenzen als in den viel zu «klebrigen» und umständlichen Online-Stores. Sie waren grundsätzlich und gewohnheitsmässig dagegen, Geld in einem Medium auszugeben, das bisher immer umsonst war.
Wir wollten ohnehin keine Produkte; wir wollten uns. Dem Dotcom-Boom folgte ein noch lauterer Dotcom-Crash. Die meisten Menschen - zumindest die meisten Geschäftsleute und Journalisten - waren sich sicher, dass das Netz am Ende war.
GEBÜNDELTE SOZIALE ENERGIE Die Netznutzer jedoch begannen, nun sich selbst überlassen, zu bloggen. Und sich zu verknüpfen. Und zu kommentieren. Die manischen Investitionen des Dotcom-Booms haben uns ein robustes Netzwerk und schnelle Verbindungen ermöglicht. Damit konnten wir nun machen, was wir wollten.
Im Web fanden sich nach wie vor einige Unternehmen, doch der grösste Anteil der Verbindungen und Gespräche fand zwischen Privatpersonen statt. Es stellte sich heraus, dass nicht der Inhalt - sondern der Kontakt das Wichtigste war. Und so entstand das, was wir heute «soziale Medien» nennen. Clevere Unternehmen nahmen dies zur Kenntnis. AOL, Geocities, Friendster, Orkut, Myspace und Facebook haben es geschafft, all diese soziale Energie an einem einzigen, zentralen Ort zu bündeln, wo sie zu Geld gemacht werden kann. Viele nachfolgende Investoren glaubten, dass in all diesen digitalen Verbindungen und Mitteilungen Marktforschung betrieben, Modelle entwickelt oder andere Wege gefunden werden könnten, um aus den Kontakten der Menschen Geld zu machen.
Worin sich all diese Social-Networking-Unternehmen immer noch irren, ist, dass das Netz kein soziales Medium wird. Es ist bereits eines. Das Internet kann wahrscheinlicht am besten als soziales Medium begriffen werden, das wiederholt alle Versuche abgewehrt hat, sich in etwas anderes verwandeln zu lassen. Und das wird es weiterhim tun. Unsere digitalen Netzwerke sind auf soziale Verbindungen und menschliche Kontakte ausgerichtet. Jeder Versuch, diese Verbindungen neu zu definieren oder für Profitwecke zu missbrauchen, gefahrdet die Integrität des Nettwerks und den wahren Nutzen menschlicher Kontakte.
Menschen nehmen sehr wohl wahr, wenn ein soziales Netzwerk in Wirklichkeit einen anderen Zweck verfolgt. Scheinbar beständige Social-Networking-Monopolisten verlieren ihre Anhänger schneller, als sie sie gewonmen baben. Wenn ein Netzwerk untergeht, wechseln die Anwender zum nächsten, bauen ihre Kommunikationsnetze neu auf und knüpfen weiterhin Kontakte. Ja, jeder kommerzielle Social-Networking-Anbieter - egal, wie beständig er auch scheint - wird am Ende den Weg seiner Vorgänger gehen. Die Marktführer scheinen momentan beständig zu sein, doch eines Tages hat man sie genauso schnell vergessen, wie sie einst die Schlagzeilen beherrschten. Erinnern Sie sich noch an Compuserve? Oder America Online? Oder Myspace? Die soziale Ausrichtung wird oft missverstanden, und den Internetbenutzern wird zu Unrecht Angst oder Selbstsucht vorgeworfen.
Die Wut, die Menschen über die sich ständig wechselnden Richtlinien von Social-Networking-Anbietern empfinden, hat weniger zu tun mit dem Eingriff in ihre Privatsphäre als damit, dass es ihnen missfällt, dass ihre Freunde kommerzialisiert werden. Die Informationen, die aus ihren Online-Aktivitäten gewonnen werden, werden für andere, nicht soziale Zwecke verwendet - und das sorgt für ein ungutes Gefühl. Man kauft und verkauft Freunde nicht.
TRANSPARENZZWANG Doch genau das ist es, was die meisten Internetunternehmen versuchen. Jedes Unternehmen jeder Grösse sucht nach einer «sozialen Strategie», um seine Marke bekannter zu machen. Jedes Unternehmen möchte sein eigenes soziales Kundennetzwerk aufbauen - oder Seiten in bestehenden sozialen Netzwerken erstellen und «Freunde», «Fans» oder «Gleichgesinnte» aus den Millionen potenzieller Nutzer gewinnen. Das ist so, als würde eine E-Mail-Liste mit Kontakten Leben in die Marken hauchen, die ohnehin durch die Dekonstruktion und Transparenz des Internets dezimiert sind.
Was Unternehmen jedoch nicht realisieren, ist, dass es zu spät ist, sozial zu werden. Jedes Unternehmen ist bereits sozial. Transparenz stellt im Internetzeitalter nicht länger eine Option für Unternehmen dar - sie ist eine Tatsache. Wo Menschen sind, wird es Gespräche geben. Diese Gespräche finden bereits statt, mit oder ohne die lnternetseiten oder Verteilerlisten eines Unternehmens. Die Wahrheit darüber, was sie tun und wie gut sie es tun, ist bereits Gesprächsthema.
AUSTAUSCHFÖRDERUNG Der wahre Weg, «sozial zu werden», wenn sie es denn wollten, bestünde nicht darin, noch mehr Freunde oder Anhänger zu sammeln, sondern darin, deren Freunde und Fans dazu zu bringen, sich anzufreunden und sich gegenseitig auszutauschen. So wird eine Kultur in einem vernetzten Peer-to-Peer-Medium geschaffen. Anstatt nach Wegen der Vermarktung zu suchen oder auf andere Art in die bestehenden sozialen Verbindungen einzugreifen, sollten diese Werbenetzwerke versuchen, die Verbindungen zwischen Menschen, die sich noch nicht kennen, aber potenziall auf der Suche nacheinander sind, zu fördern. Und sie sich dann ihren eigenen Aktivitäten zu überlassen - und ihrem Kontaktaufbau.
Die Gefahr besteht natürlich darin, dass die heutigen «Geld für deine Freunde»-Netzwerke lang genug überleben werden - beziehungsweise immer wieder ein neues entsteht -, bis ihre vorgeblich sozialen Standards von den Anwendern akzeptiert oder sogar verinnerlicht werden. Im Gegensatz zu uns, die immer noch an dem Ideal echter spontaner Verbindungen zwischen Menschen festhalten, sind unsere Kinder, die als Mitglieder von Netzwerken aufwachsen, bei weitem nicht so schockiert, wenn ihr gesellschaftliches Leben von diesen Netzwerken vermarktet wird. Wenn die Online-Kontaktsuche zwangsläufig mit einer kommerziellen Ausnutzung zusammenhängt, kann sich dies zu einer neuen normativen menschlichen Verhaltensweise entwickeln.
Viele Menschen - und nicht nur junge Leute - sind bereits nicht mehr in der Lage, zu erkennen, dass es moralisch verwerflich sein könnte, sich gegenüber seinen Online-Freunden ganz anders darzustellen. «Na und, was ist so schlimm daran, wenn ich dafür bezahlt werde, jedem in meinem Netzwerk zu erzählen, dass ich ein Fan von einer Band bin, die ich niemals in meinem Leben gehört habe?» «Das macht doch jeder.» «Caveat emptor - der Käufer trägt die Verantwortung selbst.» Das Problem besteht darin, dass diese Menschen nicht mit Käufern reden, sondern mit Freunden. Sie erleben ihr soziales Online-Netzwerk gar nicht als etwas, das sich von ihrem Privatleben abgrenzt. Es ist ein und dasselbe. Im Gegensatz zum Geschäftsmann, der im Job rücksichtslos und zu Hause liebenswürdig ist, gehen diese Menschen mit Freunden und Fremden gleichermassen rücksichtslos um. Zwar mag das konsequenter sein, zeugt aber kaum von Reife. Es ist die Ausbeutung der Chancengleichheit.
SELBSTAUSBEUTUNG Derjenige, der am Ende am meisten ausgebeutet wurde, ist natürlich die Person, die von ihrem eigenen Verhalten überzeugt war. Und das ist der Grund, warum ein gewisses Bewusstsein dafür, wie spezielle Schnittstellen, Tools und Programme unser Verhalten beeinflussen, so unglaublich wichtig ist.
Social-Networking-Seiten sind vollgestopft mit Funktionen, Spielen und Aktivitäten, die einen unwiderstehlichen Reiz haben und letztlich den Betreibern des Netzwerks mehr Nutzen bringen als seinen Mitgliedern.
Eine bestimmte Handlung in einem Spiel verwandelt (in der Regel unbemerkt) das gesamte persönliche Netzwerk in eine Spamverteilerliste - und verkauft so die Freunde und die Freunde der Freunde an die wahren Adressaten des Spiels: Marktforschungs- und Werbeagenturen. Statt Geld bekommt der Spieler Spielerpunkte, neue Fähigkeiten oder im Spiel integrierte Schätze für jede weitere Ausbeutung seines sozialen Netzwerks. Fühlt sich das wie Bestechung an?
Nicht wirklich. Das sind nur die Spielregeln. Sobald die ersten sozialen Hemmschwellen gefallen sind, fühlt sich der Spieleinsatz sowieso echter an als die Gefahr, dass einige «Freunde» auf der Social-Networking-Site beleidigt werden könnten. Das sind sowieso keine echten Freunde. Sie sind einfach nur Futter für das Spiel.
FREUNDSCHAFTS-WERTSCHÖPFUNG Traurigerweise jedoch waren dies die echten Freunde. Ob sie nun online oder in der echten Welt geknüpft wurden, stellen diese virtuellen Verbindungen eine Verlängerung unserer sozialen Wirklichkeit dar. Dies sind die Menschen, die uns helfen, den richtigen Arzt zu finden, wenn wir krank sind, die uns unterstützen, wenn wir arbeitslos sind, die uns trösten, wenn wir einen geliebten Menschen verloren haben. Sie sind diejenigen, die uns auf Reisen ein Bett zum Schlafen vermitteln, die uns eine Party empfehlen, wo wir samstagabends hingehen können, oder die uns wertvolle Tipps für eine disziplinübergreifende Forschungsarbeit geben. Letztendlich jedoch sind diese Kontakte nicht deswegen wertvoll, weil sie uns eines Tages eventuell nützlich sein könnten, sondern allein dadurch, dass sie überhaupt vorhanden sind.
Sowohl digitale als auch wahre Freundschaften schaffen einen Wert. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Menschen in unserem Leben als Bedarfsartikel zu verstehen sind, die man sammeln und zählen kann.
Menschen sind keine Gegenstände, die Stück fur Stück verkauft werden, sondern lebende Mitglieder eines Netzwerkes, dessen Wert nur in einem frei fliessenden und sozialen Kontext verstanden werden kann. Noch müssen wir herausfinden, worin dieser Wert besteht.
Nicht die Inhalte, sondern die Kontakte waren stets das Wichtigste. Und doch haben wir bisher die Möglichkeiten für neue Ebenen der menschlichen Verbundenheit und Zusammenarbeit, die uns Netzwerktechnologien bieten, kaum genutzt.
TECHNISCHE AUSREDEN Wir bemerken zu langsam, dass Menschen keine Form von Inhalt sind - eine Ressource, die man kaufen und verkaufen kann; sie bilden mit uns die Zellen eines viel grösseren Organismus, zu dem wir alle gehören, ohne es recht zu wissen. Wir schätzen unsere vielen Kontakte dafür, was sie uns bringen könnten, und übersehen ihren eigentlichen, viel grösseren Wert.
Doch es ist genau dieser Kontakt, dieser Wunsch, einen sozialen Organismus gemeinsam zu erschaffen, der von jeher die Antriebskraft der digitalen Technologie war. Der Wunsch nach immer mehr Kontakten ist unser evolutionärer Antrieb, dem wir folgen, um etwas Grösseres als wir selbst zu werden. So wie sich Atome zu Molekülen, Moleküle zu Zellen und Zellen zu Organismen verbinden, verknüpfen wir uns zu immer grösseren Organisationsebenen.
Das ist die wahre Anziehungskraft der vielen interaktiven Gerate, die zu unserem Leben gehören. In gewissem Sinne hatten die Menschen, die das Netz als eine andere Form des CB-Funks verschrien, recht: Wir erfinden einfach immer nur neue Wege, miteinander zu kommunizieren. Angefangen vom lächerlichen Fax, mit dem die Menschen sich schlechte Witze geschickt haben, bis zu den Tweets, die wir heute per Handy übertragen bietet jede neue Kommunikationstechnologie eine neue Ausrede, um neue Kontakte zu knüpfen.
Nicht der Inhalt ist die Botschaft, sondern der Kontakt. Der Ping selbst. Es ist die synaptische Übertragung eines Organismus, der versucht, sich selbst aufzuwecken.